
Mit dem Bergrennen in Hemberg beginnt am kommenden Wochenende (10./11. Juni) die Schweizer Bergmeisterschaft 2017. Die Titelfavoriten sind dieselben wie im Vorjahr, doch tut sich bei den Tourenwagen und Rennsportwagen einiges. Die Saison umfasst dieselben sieben Bergrennen in derselben Reihenfolge wie 2016. Den Anfang macht am 11. Juni das 2012 wiederbelebte Rennen in Hemberg im Kanton St. Gallen, knapp eine Fahrstunde südlich des Bodensees. Am 2. Juli lockt die Eintagesveranstaltung in Reitnau Teilnehmer und Zuschauer ins Schweizer Mittelland. Mit 1758 bzsw. 1605 m sind es die beiden kürzesten Strecken im Kalender. Mitten in den Walliser Bergen findet am 23. Juli der dritte SM-Lauf statt, dessen Ziel im Ferienort Anzère liegt. Die wohl schnellste Bergrennstrecke Europas von St-Ursanne nach Les Rangiers, wo Simone Faggioli seit Jahren die eigenen Rekorde stetig verbessert und 2016 auf 182,6 km/h geschraubt hat, ist am 20. August der vierte Schauplatz. Seit 1972 zählt dieses Rennen zur EBM und zur Schweizer Meisterschaft, wobei das malerische Städtchen St-Ursanne in gut einer Stunde ab dem Dreiländereck in Basel zu erreichen ist. Wer schon mal in der unglaublich schnellen Kurve „Les Gripons“ stand, die unter der Autobahnbrücke verläuft, kennt das Gefühl von Gänsehaut. Joël Volluz begrub dort im Vorjahr bei einem horrenden Unfall im Osella FA30 seine Titelchancen, ist aber wie die ganze Fachwelt froh, ihn heil überstanden zu haben.
Ganz nahe an der süddeutschen Grenze ist eine Woche später das Bergrennen Oberhallau im Schaffhauser Klettgau. Dort ist auch der KW-Berg-Cup wieder zu Gast. Das Aufeinandertreffen der deutschen und Schweizer Tourenwagenelite ist das Salz in der Suppe dieser tollen Veranstaltung. Am 10. September steht das 1910 erstmals durchgeführte Bergrennen am Gurnigel vor den Toren der Hauptstadt Bern auf dem Programm. Wie bei allen Bergrennen in der Deutschschweiz werden dort bei schönem Wetter weit über 10.000 Zuschauer erwartet, was überall für prächtige Kulissen sorgt. Den Abschluss der Saison bildet am 17. September das auf der zweitschnellsten Strecke ausgetragene Bergrennen Châtel-St-Denis–Les Paccots (der Rekord von Volluz liegt bei 171 km/h) oberhalb von Montreux und des Genfersees. Joël Volluz ist zwar mit dem Neuaufbau eines Osella FA30 beschäftigt, wird damit jedoch aus zeitlichen und finanziellen Gründen wohl dieses Jahr nicht mehr fertig. So ist Eric Berguerand mit seinem Lola FA99-Cosworth, dessen Aerodynamik der fünffache Meister im Detail modifiziert hat, erneut der Kronfavorit auf den Titel bei den Rennsportwagen.
Marcel Steiner macht ihm diesen zwar mit dem LobArt-Mugen V8 streitig, ob Fahrer und Fahrzeug im zweiten Jahr aber gut genug harmonieren, wird sich zeigen. In Zusammenarbeit mit dem Konstrukteur in Italien wurde die Aerodynamik des Sportwagens überarbeitet und die Hinterachskinematik angepasst. Beim ersten Saisonrennen in Eschdorf sorgten ein selbst verschuldeter Wackelkontakt im Training und die wechselhafte Witterung dafür, dass der dreifache Bergmeister das Potenzial noch nicht ausspielen konnte. Erfreulicherweise erhält die hubraumgrösste Rennwagenklasse weiteren Zuwachs. Simon Hugentobler konzentriert sich 2017 auf seinen Reynard-Mugen97D aus der ehemaligen Formula Nippon. Seine beiden älteren Reynard-Cosworth F3000 stellt er zwei Fahrern zur Verfügung: Hugentoblers 19-jähriger Sohn Robin Faustini gab mit dem 92D schon in Eschdorf ein recht gutes Debüt, Markus Bosshard probierte den 93D beim Slalom in Frauenfeld aus. Beide fuhren bisher mit einem Tatuus-Formel Renault bei den Zweilitern. Bosshard wird schon in Hemberg im F3000 starten, Faustini erst in Reitnau. Dort kommt es zum Aargauer Kantonsduell mit Thomas Amweg. Der Sohn des ehemaligen Schweizer Bergkönigs Fredy Amweg erhält von einem Sponsor einen Lola B02 mit Cosworth-Mader-V8-Motor zur Verfügung gestellt. Für den bisherigen Formel-3-Piloten wie auch für seinen legendären Vater, der ihm bei der Vorbereitung mit Leibeskräften hilft, erfüllt sich damit ein langer Traum. Wenn man noch Grégoire Siggen (Lola T96/50) und Philippe Guélat (Lola T94/50) vereinzelt am Start sieht, kann die E2-SS Klasse bis 3000 ccm bis zu sieben Wagen stark sein.
Ein ähnlich beeindruckendes Bild bieten die Tourenwagenfahrer mit den stärksten Wagen aus der Gruppe E1 und InterSwiss. Reto Meisel will seinen Titel mit dem Mercedes SLK340 Judd V8 eigentlich verteidigen. Ob es die berufliche Anspannung des umtriebigen Autohaus-Besitzers und Carlsson-Importeurs zulässt, ist noch nicht sicher. Auch benötigt Meisel zur erfolgreichen Titelverteidigung das nötige Glück mit der Technik, die ihn im letzten Jahr zu vier absoluten Tourenwagenrekorden, aber auch zu Ärger und Schweissausbrüchen trieb. Unter Umständen sind bei positivem Saisonverlauf auch noch das eine oder andere Auslandsrennen für den Aargauer drin.
Mit seinem weiter optimierten Mitsubishi Evo VIII, dessen Leistung nun näher bei 650 als 600 PS liegt, fordert Ronnie Bratschi den Titelverteidiger heraus. Trotz aller Fahrkünste ist dies für den zweifachen FIA-E1-Champion aufgrund des deutlich höheren Fahrzeuggewichts ein schwieriges Unterfangen. Es könnte ja mal regnen oder tückisch feucht sein, dann zählt der Allradantrieb mehr als die Traktionskontrolle. Achillesferse ist auch bei Bratschis Auto die strapazierte Technik. Mit den Tourenwagen-Gesamtsiegen in Mickhausen 2016 (wo es sogar der Tagessieg war) und Eschdorf 2017 hat sich Romeo Nüssli mit seinem Ford Escort Cosworth international ins Rampenlicht gefahren. Auf nationaler Ebene ist ihm dies noch nicht ganz geglückt, doch mittlerweile jederzeit zuzutrauen, hat er den von Gabat in Österreich aufgemotzten Cossie(je nach Wahl bis 900 PS) doch nach einem Jahr im Griff. Über mangelnden Qualm auf der Kette kann sich auch Roger Schnellmann mit seinem Mitsubishi Evo VIII J-Spec (Motor aus den USA) nicht beklagen. Für eine Meisterschaft fehlten ihm bisher der Biss und die Konstanz. Mit Thomas Kessler kehrt ein weiterer schneller Mitsubishi-Fahrer zurück, der für Überraschungen gut ist. Neu im Kreis der E1-Bomber ist der bisherige Gruppe-N-Pilot Michael Widmer, der sich bei Dytko in Polen einen Mitsubishi Mirage Proto herrichten und dessen Turbomotor bei Gassner in Deutschland auf 580 PS trimmen liess. Keine Ambitionen mehr hat Bruno Ianniello, der mit seinem Lancia Delta S4 nur noch bei wenigen Rennen startet.
Vielleicht kommt der neue Meister aus der Gruppe IS, die mit der deutschen Gruppe H vergleichbar ist. Ohne Wetterpech in Hemberg (einsetzender Regen mitten im Feld) und einer bei voller Fahrt aufgeklappten Fronthaube in Reitnau hätte er schon 2016 Frédéric Neff geheissen. Nach einigen Starts bei Slaloms und Bergrennen startet er mit seinem Porsche GT3 bestens vorbereitet in die SM-Saison. Gegen ihn hat auch ein bestens aufgelegter Josef Koch im 330 PS starken Opel Kadett C oder Alain Pfefferlé im Porsche 935 Turbo praktisch keinen Stich mehr. Weil in der Schweiz für jede Kategorie die Punkte anhand des Gesamtklassements vergeben werden, kommen PS-schwächere Fahrzeuge nicht für den Titel in Frage. Für Leute wie Martin Bürki mit dem Ex-Weidinger/Rottenberger-BMW bietet sich dafür der Berg-Pokal an, der hubraumkleineren Klassen vorbehalten ist.
Auf dem Papier sind die Hauptrollen also verteilt. Aber eben, zusammengezählt wird bekanntlich erst am Schluss. Die Schweizer Bergrennsaison 2017 verspricht auf jeden Fall viel Spannung und Abwechslung in allen Kategorien mit gesamthaft mehr als 200 Konkurrenten. Darauf sollten die Deutschen eigentlich neidisch sein…
von Peter Wyss (www.autosprint.ch / www.ch.motorsport.com)